Sozialethik, politische Ethik – Religion und Politik
Christliche Unterscheidung von Religion und Politik
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Johannes 18,36), sagt Jesus. Damit macht er deutlich, dass es sich bei Religion und Politik für ihn um zweierlei handelt. Das zeigt er auch, indem er bei der dritten Versuchung die Weltherrschaft ausschlug (Matthäus 4, 8-11) und im Garten Gethsemane seinen Jüngern verbot, mit dem Schwert für ihn zu kämpfen (Matth. 26,51f.) In die gleiche Richtung weisen sein Einzug nach Jerusalem auf einem Esel (Matth. 21,6f.) und der Weg ans Kreuz (Matth. 26,31-23). Jesus der gekreuzigte König (Matth. 26,31-37, wollte kein irdischer König sein und keine politische Herrschaft aufrichten. Er unterscheidet in der Geschichte vom Zinsgroschen (Matth.22,15-22) sehr deutlich zwischen dem, was Gottes ist und dem, was des Kaisers ist. Deswegen geschah die Ausbreitung des christlichen Glaubens mindestens in den ersten drei Jahrhunderten völlig gewaltlos, nur durch leidendes Zeugnis (christliche Märtyrer). “ Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche“ (Tertullian). In der Nachfolge Christi darf es deshalb keinen Glaubenskrieg geben.
Wenn später die Kirche dennoch nach weltlicher Macht strebte und sie teilweise ausübte, so verstieß sie damit gegen seinen Willen. Dieser Wille Jesu fand darin seinen Niederschlag, dass im christlichen Abendland geistliche und weltliche Macht grundsätzlich immer auf zwei verschiedene Ämter verteilt blieben: Patriarch/Papst und Kaiser. Trotz aller Versuche von beiden Seiten gelang es niemals ganz und auf Dauer, beide Ämter in einer Hand zu vereinigen; und das war ganz im Sinne Jesu.
Während die lateinische Kirche im Hochmittelalter der Versuchung zum „Papstkaiser“ (Innozenz III.) zu erliegen drohte, hat die Reformation diese Unterscheidung Jesu zwischen Religion und Politik wieder klar erkannt und anerkannt. Diese Erkenntnis liegt in ihrer Konzeption von den beiden Regimenten Gottes zugrunde (Martin Luther: Von weltlicher Obrigkeit und wieweit man ihr Gehorsam schuldig sei. (1523). Im Bild besagt sie, dass Gott die Welt mit zwei Händen regiert: Mit der linken übt er das weltliche Regiment aus (Politik), mit der rechten das geistliche (Religion). Das weltliche Regiment dient der Erhaltung, das geistliche der Erlösung der Welt. Beide Regierungsweisen Gottes darf man weder auseinanderreißen, noch miteinander vermengen.
Diese klärende Unterscheidung Luthers hat auch Eingang gefunden in unsere Bekenntnisschriften. „Unsere Kirche hält unbedingt fest an der Unterscheidung der beiden Regimente, die Gott gegeben hat, des geistlichen und des weltlichen Regimentes (…). Beide Regimente stammen von Gott. Sie dürfen nicht miteinander vermengt werden. Das geistliche Amt soll nicht in das Amt der weltlichen Gewalt, die weltliche soll nicht in das Amt der geistlichen Gewalt greifen.“ Deshalb darf die Kirche Christi sich keiner weltlichen Gewalt bedienen, in ihr soll alles geschehen nach dem Motto: “ Nicht mit Gewalt, sondern durch das Wort.“ Nur der Staat besitzt das Gewaltmonopol und muss Rechtsbrecher strafen (Römer 13,4).
Damit wurde durch die Reformation in der Neuzeit die Entstehung von religiös neutralen Staaten erst ermöglicht und gefördert. Diese Unterscheidung der beiden Regimente Gottes wirkte sich friedensstiftend und damit sehr positiv für beide Bereiche aus. Sie bewahrte die Kirche Christi davor, sich durch Ausübung von Gewalt und Macht sich vom Weg Christi zu entfernen und zu verweltlichen. Sie sollte den Staat davor bewahren, sich zur Ersatzkirche oder Ersatzreligion aufzuwerfen und dadurch fanatisch und unmenschlich zu werden.
Weder soll die Kirche den Staat bevormunden, noch darf der Staat der Kirche Glauben vorschreiben oder zu verbieten. Die einzelnen Christen sollen selbstverständlich aus ihrem Glauben heraus auch politische Verantwortung wahrnehmen, müssen sich aber des Unterschieds zwischen Kirche und Staat bewusst bleiben: Sie sollen im weltlichen Regiment auch mit Nichtchristen zusammenarbeiten und sich mit vorläufigen, unvollkommenen Lösungen begnügen.
Einen vollkommenen christlichen Staat oder gar das Reich Gottes, den Himmel auf Erden sollen und werden sie nicht schaffen. Erst in der Vollendung wird Gott selbst diesen spannungsvollen Zustand der Unterscheidung von Religion und Politik aufheben, im himmlischen Jerusalem (Offenbarung Johannes 21,22).
Islamisch, Verschmelzung von Religion und Politik
Der Islam lehnt genau diese Unterscheidung von Religion und Politik grundsätzlich und praktisch ab. „Der Islam war von Anfang an eine ausgesprochene politisch Religion .“ Er geht von einer “ grundsätzlichen Untrennbarkeit von Religion und Staat aus“ (Christen und Muslime, S. 58f.). Mohammed verstand sich als Prophet und weltlichen Herrscher, vereinigte also beide Bereiche in seiner Person, übrigens mit allen gefährlichen Konsequenzen: Ausübung von Gewalt, Kriegsführung, Intrigen, und Hinrichtungen im Namen Allahs, z.B. Vertreibung und Tötung der Juden in Medina, die ihn nicht als Propheten anerkannten. Auch die rasche Ausbreitung des Islams im Jahrhundert nach Mohammed geschah mit militärischer Gewalt. Seine Nachfolger, die Kalifen, verstanden sich ebenso wie er als höchste geistliche und weltliche Autorität in einer Person. Konsequenterweise lehnen islamische Staaten, insbesondere nach einer islamischen Revolution, die Unterscheidung von Religion und Politik ab, beanspruchen für sich sowohl weltliche als auch geistliche Macht. Sie nennen sich darum betont „islamische Republik“, verurteilen das so genannte laizistische Verständnis des Staates (wie es in der Türkei Kemal Atatürk einführte und das heute im Zuge der Re-Islamisierung wieder in Frage gestellt wird) und bekämpfen die Vorstellung eines religiös neutralen Staates als widergöttlich: „Die islamische Regierung ist die Regierung des göttlichen Rechts, und ihre Gesetze können weder gewechselt, noch geändert werden.(….) Diesen Gesetzen müssen alle gehorchen.(….) Die Errichtung einer (nur) weltlichen politischen Ordnung heißt, den Fortschritt der islamischen Ordnung zu verhindern. Jede (nur) weltliche Macht, in welcher Form sie sich auch zeigt, ist unvermeidlich eine atheistische Macht, „Satanswerk“ (Ayatollah Khomeini, Worte, S. 17-24). Der muslimische Libanese kann prinzipiell nur einen islamischen Staat zulassen. (…) Diese Religion, (nämlich der Islam) wurde ihrem Propheten von Allah geoffenbart, und zwar als Religion und Staatsordnung. Der Islam postuliert, dass es für Muslime unmöglich ist, ihren Glauben zu praktizieren, ohne die politische Macht zu haben.(Hussein al-Kuwatli, Beiruter Zeitung, 18.8.1975). Das trifft nicht nur für den islamischen Fundamentalismus zu, sondern auch für den Islam ganz allgemein.
Deswegen teilt der Islam die Welt in zwei Bereiche ein: den Dar al islam (Haus des Islam), d.h. die Länder, in denen der Islam sich in der Mehrheit befindet und das gesamte öffentliche Leben und privat beherrscht, wo angeblich Frieden herrscht, und den Dar al harb (Haus des Kampfes), die übrigen Länder. Diese Gebiete gelten als Missionsgebiet. Mit ihnen kann es keinen wirklichen Frieden geben, höchstens Waffenstillstand, bis sich eine Gelegenheit bietet, sie in den Bereich des (herrschenden) Islam einzugliedern. Darum konnte der Islam von Anfang an guten Gewissens seine Mission mit Gewalt und mit militärischer Macht durchführen. Dschihad heißt wörtlich „Anstrengung im Glauben“ , wird aber auch im Koran im Sinne von „Heiligem Krieg“ verwendet: Der Heilige Krieg bedeutet die Eroberung der nicht-mohammedanischen Territorien. Es ist die Pflicht eines jeden volljährigen und waffenfähigen Mannes, freiwillig in diesen Eroberungskrieg zu ziehen, dessen Endziel es ist, das Gesetzt des Koran von einem Ende der Welt bis zum anderen regieren zu lassen“ (Khomeini, Worte S 20). Darum strebt der Islam in allen Ländern die Errichtung moslemischer Staaten/Regierungen an und meint, erst wenn dieses Ziel erreicht ist, seine Religion ungehindert praktizieren zu können. Hierin gründet ein prinzipieller Hang des Islam zur Intoleranz, die den „Heiden“ kein Daseinsrecht zugestand und auch Christen und Juden in seinem Machtbereich nur als Bürger zweiter Klasse (Dhimmis) mit sehr eingeschränkten Rechten bei sich leben ließ, ihnen also die Rechtsgleichheit verweigerte. Sie mussten mehrere zusätzliche Steuern bezahlen, durften keinen Grundbesitz haben und keine Waffen tragen, nicht Zeugen vor Gericht sein, überhaupt keine öffentlichen Ämter bekleiden, keine neuen Kirchen bauen, mussten an ihrer Kleidung kenntlich sein, konnten keine Ehen mit Muslimen eingehen, wurden überhaupt verspottet und gedemütigt und durften sich nicht dagegen wehren (J. Laffin, Islam, die Macht des Glaubens, S. 103f.). Diese Form der Diskriminierung war durchaus vergleichbar mit der Behandlung der Juden im christlichen Abendland. Es beruht auf Unkenntnis dieser Einzelheiten, wenn heute oft die muslimische Toleranz gepriesen wird. Wir müssen erkennen, „dass Muslime einen anderen Toleranzbegriff haben, als wir ihn seit der Aufklärung gewohnt sind“ (Eberhard Troeger, a.a.O., S. 13). Das wirkt sich bis zum heutigen Tag aus in der Unterdrückung von Christen in den meisten islamischen Ländern.
Hinter all diesen Erscheinungen steckt der Anspruch, im Koran und den islamischen Gesetzen die unmittelbare, ungebrochene, unüberbietbare göttliche Ordnung für alle Lebensbereiche zu besitzen und diese auf Erden ganz und überall zu verwirklichen. Wer dem widerspricht oder sich dem widersetzt, der widerspricht mithin nicht menschlichen Gegnern, sondern Allah selbst und wird zum Feind Allahs. Die Feinde Gottes aber darf oder muss man bekämpfen, mit ihnen darf man nicht als mit Gleichberechtigten diskutieren, sie muss man unterwerfen und zu Schweigen bringen. „Die Lüge hat nicht das gleiche Gewicht wie die Wahrheit“ (Syllabus Errorum, Pius LX.), hieß es früher in der römisch katholischen Kirche. So meint das der Islam noch heute und lehnt folglich einen gleichberechtigten Glaubensdialog mit uns Christen und die anderen Religionsgemeinschaften ab.
Wegen dieser grundsätzlichen Nichtunterscheidung von Religion und Politik neigt der Islam ständig zum Fanatismus und Totalitarismus, kennt und gewährt in seinem Gebiet keine individuelle Religionsfreiheit, bestraft diejenigen, die sich von ihm abwenden mit dem Tode, verbietet etwa in Saudi-Arabien christliche Symbole und Gottesdienste völlig und selbstverständlich auch christliche Mission, widersetzt sich dem Versuch der Aufklärung und der Säkularisierung und kann in religiöser Toleranz nur eine Schwäche oder eine vorläufige Taktik sehen, die er bei besserer Gelegenheit abwirft. Von daher ergibt sich, dass Muslime sich zu Christen ganz unterschiedlich verhalten, je nachdem, wer die Mehrheit in einem Lande stellt. Während die Muslime bei uns Religionsfreiheit in Anspruch nehmen und sogar fordern, weigern sie sich in ihren Ländern, den Christen und Angehörigen anderer Religionen das Gleiche zu gewähren. So wird religiöse Toleranz leider zur Einbahnstraße zu ihren Gunsten und zu Ungunsten von uns Christen. Wegen dieses Ansatzes einer politischen Religion (Totalitarismus) oder religiöse Politik (Theokratie) erscheint es auch sehr fraglich, ob man den Islam als grundgesetzkonform ansehen kann: Denn das Grundgesetz geht eben von einem religiös neutralen Staat aus. Als Christen bejahen wir diese Unterscheidung von Kirche und Staat, kämpfen gegen die Versuchung, beides miteinander zu vermengen, ganz gleich ob bei uns oder in anderen Religionen, wie z.B. im Islam. „Es ist offenkundig: Der unterschiedliche Ansatz im Christentum und Islam führt auch nach der Frage nach Krieg, Gewalt und Friedensaufgabe“ – überhaupt bei der Verhältnisbestimmung von Religion und Politik – zu verschiedenen Antworten (Christen und Muslime (…), S. 65).
Die dem Islam wegen seiner Vermengung von Religion und Politik immer innewohnende Versuchung zu Fanatismus und Totalitarismus ist in den letzten Jahrzehnten besonders krass zum Ausbruch gekommen und in den verschiedenen Spielarten des Islamismus bzw. islamischen Fundamentalismus. Als Beispiele seien genannt: Das Regime der Wahabiten in Saudi-Arabien, die islamische Revolution im Iran durch Ayatolla Khomeini und seinen islamischen Revolutionsgarden, die Moslembruderschaft in Ägypten, die Heilsfront (besonders ihr radikaler Flügel) in Algerien, das islamische Regime von Zia ul Haq in Pakistan, ähnlich im Sudan (mit dem Krieg gegen den christlichen Süden), Bestrebungen dazu, in Nord-Nigeria ein solches Regime einschließlich der Scharia einzuführen (Boko Haram), ferner das aus dem Bürgerkrieg in Afghanistan siegreich hervorgegangene totalitäre Regime der Taliban (das nicht besiegbar erscheint), bürgerkriegsähnliche Zustände in Indonesien (besonders auf den Molukken) mit Tausenden von Toten unter der christlichen Bevölkerung und durch islamische Revolutionsgarden , die Auseinandersetzung zwischen den Palästinensern und Israel im Nahen Osten einschließlich der Selbstmordattentate von Kämpfer der Hisbolla und Hamas; bis hin zu dem islamischen Terrorismus durch das Netzwerk von Al Qaida des Osama bin Laden und seine verbrecherischen, massenmörderischen Anschläge in den USA (am 11.September 2001).
Dies alles hat nicht in erster Linie wirtschaftliche Gründe (Armut, Unterentwicklung) oder politische Ursachen (z.B. Israel), sondern wird ausdrücklich religiös begründet. Im Unterschied zu der heute immer wieder zu hörenden Behauptung, der Islam sei heute eine im wesentlichen friedliche Religion und habe mit der jetzigen Bedrohung der westlichen Welt nichts zu tun, stellen wir auch – im Blick auf den Koran und die Geschichte des Islam – fest: Es kann kein Zufall sein, dass es zu all diesen gefährlichen Auseinandersetzungen immer dort kommt, wo wir es mit muslimischen Ländern zu tun haben, und dass der Islam sich dort, wo er sich in der Mehrheit befindet, häufig intolerant und aggressiv gegenüber anderen Religionen, besonders gegen Christen verhält. Wir haben es dabei offenbar immer mit Religionskriegen zu tun. So sehen es und sagen es die Islamisten selbst; sie bezeichnen es nämlich als „Kampf gegen die Juden und Kreuzzügler“ (Osama bin Laden). Mit den Kreuzzüglern sind wir Christen gemeint. Ich frage mich, ob nicht Samuel Huntington mit seiner These von dem „Zusammenstoß“ der religiös – geprägten Kulturen“ beim Islam doch mehr Recht hat als uns lieb ist!
Gerade weil uns im säkularisierten Abendland das Verständnis für die vitale Kraft von Religion allgemein und für die gefährliche Verbindung von Religion und Politik im besonderen fehlt, gilt es auf der Hut zu sein und mit den alle anderen Religionen bedrohenden Konsequenzen des islamischen Fundamentalismus und Totalitarismus zu rechnen und sich dagegen zur Wehr zu setzen. Wir dürfen zwar auf diesen Dschihad nicht mit einem christlichen Kreuzzug antworten, vielmehr mit einer unserem Glauben gemäßen Doppelstrategie: Der Staat hat die äußere Gefahr, die vom islamischen Terrorismus ausgeht, mit seinen Mitteln abzuwehren und seine Bevölkerung davor zu beschützen, so gut es geht. Wir als Christen und Kirche haben vom Glauben an Jesus Christus her (wie ich es hier eingangs versucht habe) mit unserem friedlichen Zeugnis zu zeigen, worin der grundlegende Unterschied zwischen der Lehre Jesu und der des Mohammed besteht, vor allem wie befreiend Jesu Einladung zum Glauben ohne Zwang und Gewalt ist und dass sein Weg dem Frieden unter den Menschen dient, wenn wir uns daran halten.