Gegenüberstellung der theologischen Grundaussagen von Christentum und Islam in einzelnen Abschnitten – Teil 5 von 9

Christliche und islamische                                                           Individualethik

Ethik beantwortet die Frage: Was sollen wir tun? Dabei ist die Antwort abhängig von dem Glauben oder der Religion, in der der Mensch lebt und handelt. Beide Religionen, Christentum und Islam, geben zwar die Antwort, dass der Mensch den Willen Gottes zu erfüllen hat. Doch worin besteht dieser Wille eigentlich, wie der Mensch das eigentlich tun kann und warum er das tun soll (Frage nach der Motivation)? Darauf geben sie ganz verschiedene Antworten.

Christlich

Maßgeblich für die christliche Ethik ist die Haltung und Lehre Jesu Christi: Im Mittelpunkt seiner Lehre steht aber nicht das oder ein Gesetz, sondern Liebe und Barmherzigkeit Gottes, seine Nähe und sein Kommen. Davon wird das Handeln seiner Jünger und Nachfolger bestimmt.

Jesus Christus wollte das Leben der Menschen nicht durch einzelne gesetzliche Vorschriften regeln, also keine christliche Gesellschaftsordnung aufstellen. Die Radikalität seiner Forderungen entzieht sich jeder gesetzlichen Kodifizierung. Jesus war darum kein zweiter Mose, also kein neuer Gesetzgeber. Er hat den Willen Gottes zusammengefasst im Doppelgebot der Liebe: „Du sollst lieben Gott (….) und deinen Nächsten wie dich selbst!“ (Matthäus 22,39) Damit hat er den Willen Gottes nur scheinbar vereinfacht und erleichtert, in Wahrheit ungeheuer erschwert. Er hat ihn nämlich konzentriert, radikalisiert, vertieft und verinnerlicht. Damit hat er ihn für Sünder sogar unerfüllbar schwer gemacht (Man denke nur an die Antithesen in der Bergpredigt, Matthäus 5,20ff.). Er zeigt uns: Aus eigener Kraft vermögen wir das nicht zu erfüllen, was Gott will. Denn in einer Gesetzesethik kann man mit Einzelvorschriften wohl fertig werden, mit der Liebe aber nicht. Für sie gilt das, was Paul Tillich dazu geschrieben hat: „Der Mensch in seiner existentiellen Entfremdung (Sünde) ist zur Liebe (zu dieser selbstlosen Liebe, Agape) nicht fähig.“ Das war ja auch die niederschmetternde Erfahrung, die Luther beim Versuch der Gesetzeserfüllung im Kloster machen musste.

Damit ist nach christlicher Erkenntnis jede Form von Gesetzesgerechtigkeit (Werkgerechtigkeit) unmöglich. Denn“ durch das Gesetz kommt“ (nicht die Gerechtigkeit, sondern) „die Erkenntnis der Sünde“. (Römer 3,20) Denn Gott verlangt nicht nur die äußere, wörtliche Erfüllung der Tat, sondern den Gehorsam des ganzen Menschen, des Herzens und des Willens, und das ohne Einschränkung, ohne Berechtigung auf Lohn und ohne Angst vor Strafe. Dazu ist der Sünder Mensch von sich aus wirklich nicht in der Lage. Er vermag sich dazu auch nicht durch Übung zu erziehen.

Dazu bedarf es eines neuen Menschen. Den vermag nur Gott durch Christus zu schaffen. Darum hat Gott in Christus einen anderen Weg mit uns eingeschlagen: Er fängt mit der Liebe an, er erweist uns Sündern seine Barmherzigkeit, und dann können wir anfangen zu handeln: „Hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch unter einander lieben!“ (1.Johannes 4,11) oder : „Lasset uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt!“ (1.Johannes 4,19) Christliche Ethik beginnt also nicht mit dem Gesetz und seiner Erfüllung, sondern mit der Gnade und Liebe Gottes und unserem Glauben. Erst daraus ergeben sich die Weisungen für den christlichen Glauben und die Kraft, sie zu tun.

So verwandelt Gott im Glauben an Christus den Menschen, schenkt ihm gewissermaßen ein neues Herz; und damit die Kraft, den Willen und die Einsicht, das Liebesgebot zu erfüllen: Das heißt, „in Christus gilt(…) der Glaube, der in der Liebe tätig ist“ (Galater5,6). Damit ist unser Tun nichts anderes als die Weitergabe dessen, was Christus uns getan hat.

Umgekehrt bedeutet das, Sünde ist nicht die Übertretung einzelner Vorschriften, sondern die Verweigerung der Weitergabe des göttlichen Erbarmens: Das wirft Gott dem Schalksknecht vor: „Hättest du dich nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe?“ (Mathäus 18,33)

Aus dieser Einsicht entsprang die lutherische Reformation. Wir nennen das die Glaubensgerechtigkeit. Oder mit einem Bild aus der Bergpredigt: Nur ein guter Baum vermag gute Früchte zu bringen. Darum muss zuerst der Baum geheilt werden, dann vermag er gute Früchte zu tragen (Matthäus 7,17-19). Wir werden von Christus zunächst umsonst begnadigt und angenommen und gerechtfertigt. Dann können und dürfen wir aus Dankbarkeit und Liebe uns ans Werk machen. Dabei geht es nicht um die möglichst genaue Erfüllung von einzelnen Vorschriften, sondern um die eigenverantwortliche Verwirklichung der Liebe Christi: „Denn was da gesagt ist: > Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren<, und was da sonst an Gehorsam ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: >Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.< (…) So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung< (Römer 13,9f.). Paulus geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er schreibt, dass wir selbst den Willen Gottes finden sollen: „(…) Damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“ (Römer 12,2).

Außerdem handeln wir als Christen nicht dazu, um uns den Himmel zu verdienen und im Gericht vor Gott bestehen zu können, sondern weil uns das Heil durch Christus schon umsonst geschenkt ist und wir nun dankbar, gerne und freiwillig und ohne jeden Hintergedanken uns ans Werk machen. Unsere Werke sind nach einem wahren Wort Luthers „freie Werke“ in einem doppelten Sinn: Sie sind befreit von der ichsüchtigen Absicht, bei Gott gut dazustehen und sie sind frei, weil wir nicht auf Befehl und nach Vorschriften handeln, sondern selber herausfinden sollen und können, was unser Nächster braucht.

Unser christliches Tun dient also nicht uns selbst, sondern ganz und gar unserem Nächsten. Da hat Paul Seperatus schon in der Reformationszeit in seinem Lied „Es ist das Heil uns kommen her“ sehr klar besungen: „Es ist gerecht vor Gott allein, wer diesen Glauben fasset; der Glaub gibt einen hellen Schein, wenn er die Werk nicht lasset; mit Gott der Glaub ist wohl daran, dem Nächsten wird die Lieb Gutes tun, bist du aus Gott geboren. Die Werk, die kommen g`wisslich her aus einem rechten Glauben; denn das nicht rechter Glaube wär, wollst ihn der Werk berauben. Doch macht allein der Glaub gerecht; die Werk, die sind des Nächsten Knecht, daran wir den Glauben merken“.

Martin Luther hat das bildlich anschaulich so beschrieben: „Ein Christenmensch lebt nicht in ihm selber, sondern in Christus und seinem Nächsten: In Christus durch den Glauben und im Nächsten durch die Liebe; durch den Glauben fährt er über sich in Gott und aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt doch immer in Gott und göttlicher Liebe (…). Siehe, das ist die rechte, geistliche christliche Freiheit, die das Herz frei macht von allen Sünden, Gesetzen und Geboten, welche alle Freiheit übertrifft, wie der Himmel die Erde“(Von der Freiheit eines Christenmenschen). Das ist biblische Ethik und deren Motivation.

 

Islamisch

Der Islam stellt demgegenüber einen totalen Rückfall in eine kasuistische Gesetzesethik dar mit einer Vielzahl von einzelnen Geboten, die möglichst alle Fälle des Lebens regeln sollen. Dabei zeigt sich eine deutliche Annäherung an das Judentum, z.B. beim Schächten und Verbot des Blutgenusses, beim Verbot von Schweinefleisch usw.

Der Mensch steht völlig unter dem Gesetz, es gibt dabei keine „Freiheit eines Christenmenschen“. Er hat die Pflicht, die einzelnen, genau beschriebenen Vorschriften des Gesetzes gehorsam zu erfüllen. Dabei kommt es auf die Tat an. Die innere Beteiligung oder Bejahung des Geforderten ist nebensächlich. Es wird dabei vorausgesetzt, dass der Mensch bei entsprechender Bemühung dazu in der Lage ist, das Geforderte zu leisten. Das scheint deshalb möglich zu sein, weil der Mensch nicht als „Gefallener“ gesehen wird und weil es nur auf den Gehorsam der Tat und nicht den des Herzens ankommt.

Außerdem sind die Vorschriften zwar detailliert, aber insgesamt insofern erleichtert, als eben nur einzelne Handlungen, aber nicht die Grundhaltung der Liebe verlangt wird. Der Wille Allahs besteht aus einer Ansammlung von formalen Vorschriften. Manche lassen sich mit den zehn Geboten der Bibel vergleichen, doch kennt der Islam nicht die kurze, apodiktische Zusammenfassung der Gebote. Das lässt sich etwa am 5. Gebot deutlich zeigen: Es lautet im Islam nicht einfach: „Du sollst nicht töten!“, sondern „Ihr sollt (…) niemand töten, den (zu töten), Gott verboten hat, außer wenn ihr dazu berechtigt seid“ (Sure 6,151).

Das Wesen der islamischen Ethik wird besonders klar sichtbar an der Zusammenfassung der islamischen Gesetze in den fünf sogenannten Säulen: Beim Glaubensbekenntnis (wie wir sagen) handelt es sich um ein Nachsprechen der Formel, bestenfalls für ein Fürwahrhalten, nicht jedoch um das, was wir unter Glauben (Vertrauen und Gewissheit des Herzens) verstehen.

Beim Ritualgebet sagt schon der Name, dass es sich um eine rituelle formale Verpflichtung handelt, bei deren Erfüllung auf die genaue Einhaltung der einzelnen Vorschriften zu achten ist: auf die richtigen Waschungen und Reinheit, die Haltungen, die richtige Wiederholung der Anrufungen und deren genauen Wortlaut und die Niederwerfungen usw. Von einer inneren Andacht des Herzens, von persönlicher Bitte oder Zuversicht gegenüber Allah, überhaupt von einem persönlichen, eigenen Gebet ist nicht die Rede.

Ähnlich verhält es sich beim Fasten: Es muss auf die richtige Art und Weise durchgeführt werden, sonst ist es wertlos. Auch hier erfüllt der Moslem zwar gewissenhaft, aber rein äußerlich formal, gehorsam eine vorgeschriebene Pflicht. Das Fasten hat keine befreiende Bedeutung oder Wirkung auf ihn selbst. Die Armensteuer ist eine Pflichtabgabe (Steuer!) und hat nichts mit Almosen, Mitleid oder Liebe zum armen Mitmenschen zu tun. Sie ist so sachlich objektiv wie es eben bei einer Steuer oder Zwangsabgabe oder sonst der Fall ist. Auch bei der Wallfahrt nach Mekka geht es vor allem um die richtige, vorgeschriebene Durchführung und Abfolge der einzelnen Bestandteile dieser Zusammenkunft aller Muslime an der Ursprungsstätte des Islam. Der fromme Moslem soll genau das wiederholen, was ihm einst Mohammed vorgemacht hat.

Was schließlich das viel zitierte und kritisierte Religionsgesetz der Scharia betrifft, so ist dabei zu beachten, dass es sich dabei nicht nur um religiöse Vorschriften, sondern um auch allgemein rechtliche Gebote handelt, da der Islam den Unterschied zwischen Religion und Recht/Politik nicht kennt bzw. nicht gelten lässt.

Insgesamt dreht sich in der islamischen Ethik alles um den Gehorsam des Menschen: So wie er sich im Gebet vor Gott niederwirft und damit ihm unterwirft, so soll er auch in seinem ganzem Leben sich unter den Willen Allahs stellen, nicht nach dem Sinn des Gebotenen fragen, sondern tun, was ihm aufgetragen ist.

Das Motiv für sein Tun und seinen Gehorsam ist dabei natürlich einerseits die Angst vor Strafe bei Ungehorsam, andererseits die Hoffnung auf Belohnung, wenn er gehorcht. Deswegen spielt in der muslimischen Ethik die Drohung mit der Höllenstrafe für die Sünder und die Lockung mit dem paradiesischem Glück im „Garten“ Eden für den Gehorsamen als Peitsche und Zuckerbrot eine so große Rolle. Ganz ungeniert und ungebrochen wird hier mit dem eigenen Interesse des Frommen gearbeitet. Der Hauptgrund dafür, das Gesetz zu tun, liegt also darin, im Gericht vor Allah zu bestehen und ins Paradies einzugehen, bzw. die Hölle zu vermeiden, nicht darin, einem anderen zu helfen. Darum wird beides, Strafe und Lohn, im Koran sehr oft und sehr detailliert beschrieben.

Bei dieser Form der Ethik handelt es sich um so genannten Eudämonismus, d.h. das Streben nach der eigenen Glückseligkeit. Der Mensch will dabei vor allem für sich selbst etwas haben. Streng genommen muss man diese Haltung eine Art religiösen Egoismus nennen. Denn der Mensch gehorcht letzten Endes im eigenen Interesse, um sein Heil zu verdienen. Eine wirklich selbstlose Ethik ist dies allerdings nicht. Darum hat Kant diese Ethik abgelehnt und mit Recht darauf hingewiesen, dass man das Gute um seiner selbst willen tun muss. Das ist auch christlich gedacht. Zudem kann diese Selbsterlösung aus den oben schon genannten Gründen nicht gelingen.

Ein Kommentar zur aktuellen christlichen Lehre

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